C - Pädagogische Bausteine des "bewegungsfreudigen" Kindergartens
1. Vorbemerkung
Im nachfolgenden Abschnitt wird eine exemplarische Auswahl pädagogischer Bestandteile und Inhalte eines bewegungsfreudigen Kindergartens in knapper Form skizziert. Sie bilden den Rahmen für das pädagogische Handeln von Erzieherinnen.
Der bewegungsfreudige Kindergarten setzt sich aus vielen verschiedenen Elementen zusammen, die hier nicht alle aufgeführt werden können.
Im Folgenden sind Grundangebote erläutert, die den Handlungsrahmen für den bewegungsfreudigen Kindergarten bilden. Dabei sind die Arbeitsfelder nicht losgelöst voneinander zu betrachten. Sie greifen ineinander und sind untereinander verbunden. Die jeweiligen Inhalte können, je nach Aktivität, einem oder mehreren Entwicklungsbereichen – und damit auch den verschiedenen Bildungsbereichen des Berliner Bildungsprogramms - zugeordnet werden. Dies entspricht dem Gedanken der ganzheitlichen Sicht auf Kinder. Der pädagogische Alltag erfasst eine Vielzahl von Lernbereichen und schafft Situationen, die der Lebenswirklichkeit von Kindern entsprechen.
2. Bewegung als pädagogisches Prinzip
Kindern wird die Möglichkeit gegeben, umfassende Erfahrungen mit ihrem Körper und mit all ihren Sinnen zu machen. Bewegung wird so in den Tagesablauf integriert, dass über die angeleiteten, regelmäßigen Bewegungsangebote hinaus, das Erfahren der Umwelt durch die eigene Bewegung zum allgemeinen pädagogischen Prinzip wird.
Die Gestaltung der Räumlichkeiten und der Freifläche tragen dazu bei,
- positive Bewegungserfahrungen zu machen,
- Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen aufzubauen,
- durch präventive gesundheitsorientierte Bewegungserziehung vor den dramatischen Folgen des Bewegungsmangels zu schützen,
- durch zunehmende motorische Geschicklichkeit weniger (schwere) Unfälle zu er leiden,
- schon früh ein dauerhaftes Interesse an Bewegung zu entwickeln.
Dabei ist das Angebot jeweils spezifisch auf die verschiedenen Altersgruppen ausgerichtet und den unterschiedlichen räumlichen Gegebenheiten angepasst. Entsprechende Handlungsmodelle und methodisch-didaktische Erfahrungen sind präsent und liegen in der Literatur ausreichend beschrieben vor.
Dazu zählen Angebote der Psychomotorik und Bewegungserziehung sowie Bewegungslandschaften zum Erproben der Grundbewegungsformen: Schaukeln und Schwingen, Klettern, Hängen und Hangeln, Steigen, Springen und Balancieren, Fliegen und Schweben, Gleiten und Fahren …Ebenso gehört das Konzept der Bewegungsbaustelle dazu. Sie ist der Prototyp eines offenen Bewegungsangebots: Bretter, Kisten, alte Autoreifen, Rohre, Holzklötze und andere Alltagsmaterialien lassen sich zu wunderbaren Spielparadiesen arrangieren. Fang-, Lauf- und Geschicklichkeitsspiele zählen ebenfalls zu diesem Bereich. Den Möglichkeiten sind eigentlich kaum Grenzen gesetzt.
Für ältere Kinder sind auch bereits Sportangebote mit spielerischem Charakter möglich. Aus entwicklungspsychologischen Gründen wollen Kinder sich ab einem gewissen Alter mit anderen messen. Sie wollen den Vergleich ihrer Fähigkeiten und Leistungen mit den anderen in der Gruppe. Sport gibt solchen Bedürfnissen Raum und übt zugleich für das spätere Leben in einer Wettbewerbs- und Leistungsgesellschaft.
In das Spektrum von Bewegungsangeboten gehören zudem Zirkusspiele. Neben den Bewegungsmöglichkeiten rücken Rollenspiele und darstellende Künste in den Blickpunkt. Ein Fest der Sinne, das Abenteuer Dschungel oder Großstadt lassen sich in Bewegungsszenarien und spannender Dramaturgie organisieren. Der Phantasie sind keine Schranken gesetzt. Bewegung wird in einer Kombination von alltäglicher Selbstverständlichkeit und außergewöhnlicher Attraktion in die Erfahrungswelt Kindergarten einbezogen.
3. Kommunikation und Sprache
Der Kindergarten ist ein Ort der Kommunikation. Zeit für Gespräche unter Kindern oder zwischen Kindern und Erwachsenen ist immer vorhanden. Die Sprechaktivitäten der Kinder werden beobachtet, unterstützt und gefördert. Bei Auffälligkeiten ist der Kindergarten die Instanz, der Eltern informiert und professionellen Rat einholen kann. Er ist auch der Ort, wo zusätzliche Förderung ansetzen kann.
Erwachsene sind Sprachvorbilder für die Kinder. Sie benennen Gegenstände, Symbole oder Ereignisse und begleiten ihr eigenes Tun und die Aktivitäten der Kinder mit Worten und Interpretationen über deren Bedeutung. Mit Liedern, Geschichten, Gedichten und Quatsch-Reimen wird spielerisch der Umgang mit Sprache geübt. Ebenso werden Bewegungsspiele eingesetzt, die den Spracherwerb besonders fördern. Die Methodik und Didaktik solcher bewegungsorientierten Modelle zum Spracherwerb und zur Erweiterung des Wortschatzes werden in Fortbildungen vermittelt. Sprache ist das Mittel, worüber wir unsere Erfahrungen, Gedanken, Ideen und Gefühle anderen mitteilen können. Ihr wird im bewegungsfreudigen Kindergarten besondere Aufmerksamkeit geschenkt.
Gleichfalls nimmt der bewegungsfreudige Kindergarten Rücksicht auf kulturelle Differenzen. Er unterstützt Prozesse interkulturellen Lernens und gibt Migrantenkindern Möglichkeiten zum Ausdruck und zur Darstellung ihrer eigenen Herkunftskultur. Kulturelle Unterschiede auch im Anspruch der Eltern werden respektiert, soweit sie mit den allgemeinen Menschen- und Kinderrechten sowie mit dem Grundgesetz und den demokratischen Werten in Deutschland übereinstimmen. Die Umgangssprache in einem bewegungsfreudigen Kindergarten ist Deutsch. Die Probleme von Kindern aus Zuwandererfamilien beim Erwerb der deutschen Sprache sind bekannt. Wer im häuslichen Milieu in die Herkunftssprache hineinwächst, sie aber nicht richtig erlernt, hat größte Probleme beim Erwerb der zweiten Sprache. Auf die Gepflogenheiten und Sprachkompetenzen der Herkunftsfamilie kann nur bedingt Einfluss genommen werden. Der Kindergarten kann jedoch darauf achten, dass im eigenen Erfahrungsraum die Sprache des aufnehmenden Landes, also Deutsch, gesprochen wird. Sie kann Kinder aus Zuwandererfamilien im Rahmen ihrer Möglichkeiten bei der Aneignung und Erweiterung deutscher Sprachkenntnisse unterstützen und fördern. Darüber hinaus brauchen besondere Förderprogramme jedoch auch besondere gesellschaftspolitische und finanzielle Unterstützung.
4. Musik, Rhythmik und Tanz
In einem engen Verwandtschaftsverhältnis zu den Bewegungsspielen steht die musikalische Früherziehung. Musikalisches Empfinden und Rhythmik pflegen enge Verbindungen mit der körperlichen Bewegung. Kinder entdecken früh musikalische Ausdrucksformen und nehmen darüber Kontakt zur Umwelt auf. Sie sind interessiert an Musik und horchen auf Stimmen und Melodien. Sie machen rhythmische Bewegungen, singen mit und klatschen in die Hände. Gemeinsames Singen, Tanzen, Musizieren und der experimentelle Gebrauch von Instrumenten fördert nicht nur die Sinneswahrnehmung, sondern auch das Erlernen verschiedener Techniken. Es stärkt darüber hinaus das Gemeinschaftsgefühl und vermittelt künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten. Musikalische Ausdrucksformen lassen sich hervorragend mit Bewegung und Sprachförderung verbinden. Sing- und Bewegungsspiele sowie tänzerische Kreationen kommen in der Alltagspraxis immer seltener vor. Sie sind für Kinder aber nach wie vor höchst attraktiv und bieten vielfältige Möglichkeiten zum Lernen. Die Sportjugend hat hierzu eigens ein Liederbuch und eine dazugehörige CD für den Einsatz im Kindergarten und der Bewegungserziehung mit dem Liedermacher Robert Metcalf produziert.
5. Erfahrungen durch kreativ gestaltendes Handeln
Mit verschiedenen Materialien und Werkzeugen umzugehen sowie in den unterschiedlichsten Materialien Spuren zu hinterlassen, fasziniert Kinder. Künstlerisch-produktive Aktivitäten unter Einbeziehung einfacher handwerklicher Verrichtungen setzen bei Kindern Phantasie und Kreativität frei. Sie gehören ebenfalls zu den wichtigen Erfahrungschancen, die der bewegungsfreudige Kindergarten offeriert. Selbst wirksam zu sein, sich mit verschiedenen Mitteln und Medien ausdrücken zu können, Dinge zu entwerfen, zu verwerfen und ein Ergebnis, ein Produkt zu erzielen, das gehört im Handeln von Kindern mit zu den großen Erfolgserlebnissen. Die in der Bewegung angelegte Selbstwirksamkeit des Lernens findet in den kreativen Angeboten ihre Fortsetzung. Kindern sollen zahlreiche Materialien (Pappe, Kartons, Hölzer, Plastikbecher...) und andere Werkzeuge (Tonpapier, Stifte, Malfarben, Ton, Gips...) zur Verfügung stehen. Sie sollen regelmäßig die Möglichkeit haben, sich kreativ zu betätigen und ihre schöpferischen Werke und Erzeugnisse „mitzuteilen“. Auch an diesen Aktivitäten kann Sprachförderung anknüpfen. Geschichte und Botschaft eines Bildes will erzählt und interpretiert sein. Auf „Drei-Wort-Sätze" kann mit „Vier-Wort-Sätzen" geantwortet werden. Am Tun der Kinder entzündet sich Kommunikation und Sprache - der Wortschatz kann sich erweitern.
6. Erfahrungschancen durch Projekte
Kinder kommen mit einem natürlichen Erkundungsinteresse zur Welt. Sie sind kleine Forscher mit einem unbändigen Drang zu Expeditionen in das Unbekannte. Leidenschaftlich beschäftigen sie sich mit der Frage, was es unentdecktes Neues auf dem Planeten gibt, der ihre Lebenswelt ist. Von Beginn an beobachten und erforschen sie ihre Umgebung. Alles, was in Blick- oder Reichweite kommt, weckt ihr Interesse. Kinder staunen über physikalische Gesetzmäßigkeiten oder Erscheinungen der Natur. Sie stellen immer und zu allem Fragen, um die Welt zu verstehen. Der Kindergarten muss möglichst viele Facetten dieser Welt in den Erfahrungshorizont der Kinder holen. Er ist Teil der Umwelt und muss Kindern die Möglichkeit geben, sich aktiv mit der natürlichen und sozialen Umwelt, mit ihrer Lebenswelt auseinander zu setzen. So gehören zum Beispiel einfache Zusammenhänge in den Bereichen Technik, Mathematik, Ökologie, Biologie, Geschichte u.a. nicht erst in den Schulunterricht. Sie können anhand der gegebenen Lebensbedingungen der Kinder bereits im Kindergarten anschaulich und erfahrbar gemacht werden.
Ein idealer Lern- und Spielort für Kinder ist die Natur. Ein Wald, eine Wiese oder in der Stadt auch ein Park oder eine brachliegende Fläche mit Hügeln, Bäumen, Steinen, Gräben und Pflanzen bietet sich für eine Forschungsexpedition geradezu an. In Projekten kann natürliche Umgebung zum Spielraum und zugleich zum Erfahrungs- und Lernraum über die Wunder der Natur, die Photosynthese und ökologische Zusammenhänge gemacht werden. So werden in einer bewegenden Expedition Höhen und Tiefen des Geländes überwunden, Pflanzen oder Steine gesammelt, dem Einfluss der Jahreszeiten nachgespürt und bei all dem die Auseinandersetzung mit den Gesetzmäßigkeiten der Natur geführt. Einige werden vielleicht auch zum ersten Mal barfuß über eine Wiese laufen.
Vergleichbares gilt für die Stadt. Ein Besuch bei den Verkehrsbetrieben und der Untergrundbahn wird zu einer Forschungsreise in Geschichte und Technik des öffentlichen Nahverkehrs. Historische Ideen und Leistungen der Urgroßväter werden lebendig. Das möglicherweise eigene Transportmittel auf dem späteren Weg zur Schule oder zu Freunden wird entdeckt. Ein komplizierter Kassenautomat und eine Notrufsäule geben Rätsel auf. Es gibt verschiedene Linien und Pläne, wie soll man die entziffern?
So werden Höhen und Tiefen eines Forscherdaseins durchlaufen. Dem quälenden und ärgerlichen Mangel an Durchblick folgt Hochstimmung angesichts der Erfahrung, dass man nun weiß, was ein „Zugabfertiger" macht und dass er eine Uniform trägt. Projekte und Materialien zum Experimentieren regen den Forscherdrang an. Der Garten im Außengelände wird zum Biotop. Einfache kindgerechte Experimente bringen die Welt der Chemie und Laboratmosphäre in den Kindergarten. Der Besuch eines echten Chemikers macht die Sache noch spannender. In den Zahlenfeldern eines Kreidekastens kann man hüpfend Rechnen spielen.
Es gibt viele Möglichkeiten, Einblicke in „große Zusammenhänge" zuzulassen. Es sind Aufgaben, für die Ideen entwickelt sowie ein wenig Phantasie und Organisationsgeschick aufgebracht werden müssen. Anregungen und Handlungsmodelle sowie methodisch-didaktische Konzepte sind auch bei anderen Institutionen ausreichend vorhanden.
Ein Netzwerk von Kooperationspartnern bereichert den Erfahrungsraum Kindergarten. Anregungen aus Konzepten wie „Kinder stark machen" der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung können einbezogen werden. Die AOK Berlin steuert kindgerechte Hilfestellung und Modelle zum Thema "Gesunde Ernährung" bei. Die Landesverkehrswacht Berlin ist mit der Lernwerkstatt Verkehrserziehung, in der zahlreiche Elemente der Bewegungsförderung, Psychomotorik und Bewegungserziehung enthalten sind, sozusagen der natürliche Bündnispartner. Viele Anregungen und Ideen lassen sich auch aus der Montessori-Pädagogik ableiten oder zeitgemäß aus den Konzepten von Pestalozzi und Fröbel übersetzen.
Es wird deutlich, dass diese oder auch weitere Themenbereiche und Bausteine des bewegungsfreudigen Kindergartens jeweils unterschiedlich in Projekten und auf spielerische Weise bearbeitet werden können - immer unter aktiver Beteiligung der Kinder. Das gilt für Natur- und Umwelterfahrungen, für den wichtigen Bereich der Körperpflege, für die Förderung einer gesunden Ernährung und damit für Angebote aus dem Bereich Kochen und Backen, für Verkehrserziehung, für interkulturelles Lernen usw. Es ist im Rahmen dieses Konzepts nicht sinnvoll, quasi einen vollständigen Katalog von Bildungsinhalten, Lernzielen und Lernschritten mit immer neuen Verästelungen zu erstellen. Grundlage der Arbeit ist das Berliner Bildungsprogramm für Kitas und Kindertagespflege. Der bewegungsfreudige Kindergarten konzentriert sich innerhalb dessen auf die Basiskompetenzen von Kindern - auf die Förderung elementarer motorischer, intellektueller und sozialer Kompetenzen. Dafür stellt er den notwendigen Bewegungs- und Erfahrungsraum zur Verfügung.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit haben wir uns für die durchgängige Verwendung der weiblichen Form entschieden. Im Sinne der Gleichberechtigung sind alle Geschlechter inbegriffen.