A - Leitgedanken des bewegungsfreudigen Kindergartens
1. Aktueller Kontext
Deutliche Befunde: Pisa-Studie und Motoriktests
Die intellektuellen und motorischen Leistungen unserer Kinder haben sich in den letzten Jahren drastisch verschlechtert. Grundlegende körperliche Fertigkeiten sind heute nicht mehr selbstverständlich: auf einem Bein stehen und das Gleichgewicht halten, rückwärts laufen und die Orientierung behalten, einen Ball auffangen – unlösbare Aufgaben für eine wachsende Zahl von Kindern. Eine Treppe schnell hinauf steigen und wieder hinunter springen, auf einer schmalen Mauer balancieren oder auf einen Baum klettern erweisen sich als unüberwindbare Hindernisse. Auch haben viele Kinder Probleme, sich im Raum zu orientieren oder ihre Bewegungsabläufe zu koordinieren.
Diese Tatsachen untermauert der Motoriktest für vier- bis sechsjährige Kinder. Er ist ein standardisiertes Messverfahren, mit dem in Kinderarztpraxen und Schuleingangsuntersuchungen häufig die motorische Entwicklung erfasst wird. Der Test enthält Bewegungsaufgaben zum Gleichgewicht, zur Koordinationsfähigkeit, zur Raumorientierung und zur Geschicklichkeit. Er wurde vor 15 Jahren entwickelt. Heute liegen die ermittelten Leistungen der Kinder in den geprüften Bereichen um etwa zehn Prozent unter den damaligen ersten Werten.
Die Ergebnisse werden von Kinderärzten sowie von den Befunden der Schuleingangsuntersuchungen auch für Berlin tendenziell bestätigt. Jeder vierte Erstklässler in unserer Stadt ist zu dick oder weist erhebliche Defizite im motorischen Bereich auf. Übergewicht, Haltungsschäden, Koordinationsprobleme und Bewegungsstörungen nehmen rapide zu.
Die allgemeinen negativen Tendenzen werden von der jüngsten Analyse des wissenschaftlichen Instituts der Ärzte Deutschlands (WIAD) zum Bewegungsstatus von Kindern und Jugendlichen in Deutschland nochmals verstärkt. Auch hier wird eine deutliche Verschlechterung der motorischen Leistungen festgestellt und insbesondere auf die gesundheitlichen Folgen und Risiken hingewiesen.
Die Hiobsbotschaften über die körperlichen und gesundheitlichen Probleme werden in jüngster Zeit noch von Berichten über intellektuelle Defizite und erhebliche Störungen im Sozialverhalten bei einer wachsenden Zahl von Kindern begleitet. Eine deutliche Zunahme von Hyperaktivität, aggressivem Verhalten, Konzentrationsschwächen und Lernstörungen wird konstatiert. Erhebliche Defizite in der Sprachentwicklung, insbesondere bei Kindern mit Migrationshintergrund, aber auch bei einer hohen Anzahl deutscher Kinder, kommen hinzu.
Sprachkompetenz ist jedoch ein ganz wesentlicher Faktor für den erfolgreichen Weg durch das Bildungssystem und die damit verbundenen späteren Lebens- und Arbeitsmarktchancen. Was sich bei den Jüngsten ankündigt, setzt sich bei den älteren Jahrgängen fort. Die Pisa-Studie stellt deutschen Schülern hinsichtlich ihrer Lesefähigkeiten sowie mathematischen und naturwissenschaftlichen Grundbildung ein schlechtes Zeugnis aus. Im internationalen Vergleich schneiden sie durchweg unter Durchschnitt ab - also nicht einmal Mittelmaß.
Während die alarmierenden Ergebnisse der Sprachstandserhebungen und der PISA-Studie gebührende öffentliche Aufmerksamkeit finden und bildungspolitische Debatten ausgelöst haben, dringen die negativen Befunde zur motorischen Entwicklung der Kinder aus den entsprechenden Fachkreisen kaum in das öffentliche Bewusstsein.
Dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen den motorischen und den intellektuellen Defiziten geben könnte, kommt in den meisten Ursachenanalysen nicht vor. Die Diskussionen werden sozusagen in zwei verschiedenen Sphären geführt - mit den physischen Entwicklungsproblemen auf der einen Seite und den intellektuellen Mängeln auf der anderen. Es scheint, als lebten von der modernen Medizin und Neurobiologie längst widerlegte geisteswissenschaftliche Positionen der Trennung von Körper und Geist wieder auf. Ein fataler historischer Irrtum, der bis in die Gegenwart im Denken und Handeln vieler Bildungspolitiker und Pädagogen tiefe Spuren hinterlassen hat und für die aktuelle Misere im Bildungswesen mit verantwortlich ist.
Wer den Körper nur als Transportmittel für den Kopf begreift oder als notwendiges Subsystem für den Intellekt ansieht, hat schon verloren. Er wird die grundlegenden Probleme im deutschen Bildungssystem nicht lösen, sondern bestenfalls an Symptomen kurieren können, weil die ganzheitliche Entwicklung von Kindern nicht in den Blick gerät.
Das gilt in ganz besonderem Maße für die Erziehungs- und Bildungseinrichtung Kindergarten.
Es lassen sich stichhaltige Belege dafür anführen, dass eine zentrale Ursache für die Entwicklungsstörungen unserer Kinder und deren im Durchschnitt defizitären Leistungen in einem gravierenden Mangel an körperlicher Bewegung zu sehen ist. Bewegungsmangel ist nicht für alle, aber doch für einen großen Teil der sozialen, intellektuellen und motorischen Entwicklungsstörungen verantwortlich. Bewegungsmangel hat sich zu einer Zivilisationskrankheit mit schwerwiegenden Konsequenzen für die physische und psycho-soziale Entwicklung unserer Kinder entwickelt, was zu ernsthaften Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit unserer Gesellschaft insgesamt führt.
Kritische Tendenz: Spiel- und bewegungsarme Lebenswelt
Kulturpessimismus, Nostalgie und Flucht aus der modernen Zivilisation soll hier nicht das Wort geredet werden. Frühere Generationen hatten ebenfalls ernste materielle und pädagogische Probleme bei der jeweils nachwachsenden Generation zu überwinden. Sie konnten sich allerdings in der Regel darauf verlassen, dass bei Eintritt der Kinder in die Schule die notwendigen körperlichen und geistigen Voraussetzungen gegeben waren. Lebenspraxis und Familie sowie natürliche und soziale Umwelt boten Kindern ausreichend Gelegenheit, ihre motorischen, intellektuellen und sozialen Kompetenzen in einem naturwüchsigen Prozess hinreichend zu entwickeln. Doch die Selbstverständlichkeiten schwinden in modernen Industriegesellschaften. Die naturwüchsigen Prozesse der senso-motorischen und intellektuellen Entwicklung waren und sind in erster Linie in den Spielen der Kinder angelegt. Was für Kinder Spaß, Leichtes und Spielerisches bedeutet, ist aus Sicht der Sozialisationstheorie eine Entdeckungsreise in Lebenswelt und Gesellschaft.
Im Spiel eignen sich Kinder in einem ganzheitlichen und experimentellen Prozess von Körperfunktionen und Intellekt soziale und natürliche Wirklichkeit an. Der Prozess des Erkennens basiert auf der sinnlich-physischen Wahrnehmung durch die Sinnesorgane und auf der bedeutungsbezogenen Wahrnehmung des Intellekts. Im Spiel werden sowohl die Körperlichkeit der Existenz als auch Regeln und Bedeutungszusammenhänge von Lebenswelt und Gesellschaft erfahren. Die soziale und natürliche Realität lässt sich nur im Zusammenspiel von Körper und Geist erschließen. Die sinnlich-physiologische Wahrnehmung und die Interpretationen des Intellekts gehören zusammen. Biologische Ausstattung und Körperlichkeit stehen zu den intellektuellen Fähigkeiten und Leistungen in einer engen Wechselbeziehung. Das kindliche Spiel aktiviert alle diese Funktionen. Aus dem Spiel wird aus Sicht der Sozialisationstheorie Vergesellschaftung.
Bewegungsangebote und Bewegungsspiele sind hierfür besonders gut geeignet. Entscheidend sind die Erfahrungen, die Kinder im Spiel machen. Hier können sie den alltäglichen Umgang und das Zusammenleben mit Anderen lernen. Im Spiel setzen sie sich mit Regeln, Normen und Werten auseinander und sie gewinnen Erfahrung über die Bedeutung von Dingen und Sachverhalten. Das Spiel beinhaltet zahlreiche Situationen, die es erforderlich machen, dass Kinder sich mit ihren Spielpartnern auseinandersetzen. Sie müssen Spielregeln interpretieren, aushandeln und anerkennen, Rollen übernehmen, Konflikte bewältigen sowie soziales Verhalten einüben. Hier lernen Kinder nachzugeben und sich zu behaupten, zu streiten und sich zu versöhnen, sich durchzusetzen und sich unterzuordnen, zu teilen und abzugeben. Sie machen zugleich auf spielerische Weise Erfahrungen über ihr motorisches und intellektuelles Leistungsvermögen und lernen dabei von ihren gleichaltrigen Spielpartnern.
Das Spiel sozusagen als frühe Schule des Lebens – hat es ausgespielt?
In ihrem Alltag finden Kinder heute nur noch selten Räume und Gelegenheit, in größeren Gruppen zu spielen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kannten Kinder noch etwa 100 Bewegungsspiele, heutige Kinder kennen im Durchschnitt noch fünf. Räuber und Gendarm, die Schaukel, das Klettern auf Bäume oder der Straßenfußball gehörten einmal zum festen Repertoire von Spielen in der Welt von Kindern. Sie sind aktuell gefährdet wie seltene Tier- und Pflanzenarten. Bewegung und Spiel stehen in der Gefahr, von den aktuellen Lebensgewohnheiten, den Errungenschaften der Technisierung, der Motorisierung und vom Angebot der Medien verdrängt zu werden. Zugleich gehen die natürlichen Spiel- und Bewegungsräume verloren. Wo gibt es noch Straßen, auf denen man sich mit Geschwistern, sofern vorhanden, oder mit Freundinnen und Freunden zum Fußball oder zum Gummitwist verabreden kann? Wo kann man noch gefahrlos Räuber und Gendarm spielen und in welchem Hinterhof oder Garten gibt es noch eine Schaukel?
Der Verlust des vermeintlich Altmodischen kann von Computerspielen, Gameboys und dem Fernsehen in ihrer Eindimensionalität nicht wettgemacht werden. Sie verschaffen zwar virtuellen Zugang zur Welt und halten durchaus auch wichtige Lernchancen bereit. Es sind jedoch Erfahrungen aus zweiter Hand, die hier vermittelt werden. Die Sinne sind auf Sehen und Hören beschränkt. Es fehlt in der Regel die soziale Gemeinschaft, die Gruppe von Gleichaltrigen. Es fehlen vor allem die Bewegung und die Anregung aller Sinne. Es fehlen die körperlich-sinnliche Wahrnehmung und die sinnliche Erfahrung der natürlichen und sozialen Umwelt. Damit verbunden ist eine ernsthafte Einschränkung der Entwicklungs- und Lernchancen von Kindern, die mit der Reduktion von körperlichen, sozialen und intellektuellen Erfahrungen einhergeht.
Auf den Verlust naturwüchsiger Entwicklungs- und Erkenntnischancen in der Lebenswelt von Kindern muss das Bildungssystem reagieren. Es müssen Antworten gefunden werden, die die Defizite ausgleichen. Denn aus anthropologischen, medizinischen, psychologischen und pädagogischen Gründen sind Bewegung und Spiel in der Lebenspraxis von Kindern unverzichtbar. Wenn die Lebenspraxis die uneingeschränkte Lebenstauglichkeit einer deutlich zunehmenden Zahl von Kindern nicht mehr garantieren kann, weil das natürlich erziehende Leben verloren gegangen ist, dann stehen zunächst die Eltern in der Verantwortung. Dennoch darf ihnen nicht die ganze Last der Verantwortung zugeschoben werden. Soziale und ökonomische Wirklichkeit lassen die umfassende Erziehung von Kindern vielfach gar nicht mehr zu. Eltern brauchen Unterstützung der Gesellschaft, von uns allen. Aus diesem Grund stehen auch die Jugendhilfe und Einrichtungen für Kinder in der Pflicht, den Mangel zu kompensieren. Das gilt insbesondere für den Bewegungsmangel im Lebensalltag.
2. Lernen durch Bewegung
Bewegung als Zugang zur Welt
Bewegung ist Kindern ein ureigenes Bedürfnis. Sie ist Quelle vielfältiger Erlebnisse und Erfahrungen. Vor allem in den ersten Lebensjahren ist Bewegung der wichtigste Weg zur Erkenntnis. Die sinnliche Wahrnehmung über Bewegung eröffnet Kindern den Zugang zur Welt. Sie ist die Wurzel jeder Erfahrung, durch die sie die Welt verstehen lernen. Lernen im frühen Kindesalter ist in erster Linie Lernen über Wahrnehmung und Bewegung.
Wahrnehmung ist ein aktiver Prozess, bei dem Kinder mit allen Sinnen in die Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt eintreten. Das Zusammenspiel der Sinne wird durch Bewegungsaktivitäten gefördert. Wahrnehmungsleistungen nehmen eine Schlüsselfunktion hinsichtlich der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen aus der Umwelt ein. Die Basis für Lernen und Verhalten wird in den ersten Lebensjahren gelegt und hier spielen vielseitige Bewegungs- und Wahrnehmungserfahrungen eine entscheidende Rolle. Kinder eignen sich die Welt in den ersten Jahren weniger über Denken und Vorstellen an, sondern vor allem über ihre unmittelbaren körperlichen Handlungen. Körper- und Bewegungserfahrungen sind immer auch verbunden mit der Erfahrung von Dingen, Gegenständen und Bezugspersonen.
Bewegung und Intelligenzentwicklung
Denken und Intelligenz entwickeln sich in der handelnden Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten und Objekten der Umwelt. Bewegung ermöglicht die schrittweise Erweiterung kindlicher Handlungsfähigkeit. Kinder setzen die Bewegungsaktivität ein, um zu einem Wissen über die Beschaffenheit der Umwelt zu gelangen. Studien belegen, dass ein enger Zusammenhang zwischen der Bewegungsentwicklung von Kindern, ihrer Intelligenz und dem Grad ihrer Selbständigkeit existiert. Darüber hinaus wurde durch ein regelmäßig durchgeführtes Bewegungsangebot nicht nur die Zunahme der motorischen Leistungen festgestellt, sondern auch ein besseres Abschneiden in einem Intelligenztest nachgewiesen. Langes Sitzen macht also keineswegs klüger. Solche Ergebnisse werden gestützt vom Wissen der allgemeinen Medizin und Neurophysiologie, auch wenn man ihre zum Teil biologistischen und mechanistischen Schlussfolgerungen nicht überbewerten soll.
Bereits im Mutterleib entwickeln sich im Gehirn und Rückenmark Nervenzellen und ihre Verbindungen. Bei der Geburt verfügt ein Kind über mehr als 100 Milliarden Nervenzellen, die jedoch erst dann voll funktionsfähig sind, wenn sie miteinander verknüpft werden konnten. In der frühen Kindheit werden durch körperliche Aktivität und dadurch ausgelöste Sinnestätigkeit Reize geschaffen, die diese Verknüpfungen, die sogenannten Synapsenbildungen, unterstützen. Durch Bewegung und Sinneswahrnehmungen kommt es zu einer „Explosion“ in der Bildung von Synapsen. Die Verbindungen zwischen den Nervenzellen werden komplexer, je mehr Reize durch die Sinnesorgane zum Gehirn gelangen. Jede Bewegung des Kindes, jede Wahrnehmung und sinnliche Erfahrung, jedes Begreifen eines Gegenstandes oder Lebewesens hinterlässt Spuren im Gehirn und schafft neue neuronale Verbindungen. Sie bilden Substanz für die Intelligenzentwicklung. Das beste Mittel, das zur Unterstützung dieser Prozesse bisher bekannt ist, ist die Bewegung. In den USA gibt es mittlerweile „Intelligenzschulen“ für Kleinkinder. Hier stehen z. B. Krabbeln, Kriechen auf instabilem Untergrund, Klettern und Schaukeln auf dem Programm, um die Entwicklung geistiger Kompetenz zu fördern. Die Gehirnforschung hat im vergangenen Jahrzehnt ernorme Fortschritte erzielt, gerade im Hinblick auf den Zusammenhang von körperlicher Bewegung, sinnlicher Erfahrung und geistiger Entwicklung. Allerdings darf nicht verschwiegen werden, dass in der Wissenschaft ein Streit über die richtigen Schlussfolgerungen geführt wird. Für manche Vertreter der neurowissenschaftlichen Forschung sind die drei ersten Lebensjahre ausschlaggebend für die gesamte psycho-soziale und kognitive Entwicklung. Andere warnen vor Überschätzung der evolutionsbiologisch bedingten frühen Entwicklungsphase und bezeichnen die Annahme eines Zusammenhangs zwischen der Anzahl der Synapsen und Intelligenz als Missverständnis.
Befürworter und Kritiker sind jedoch einig, dass eine anregende kommunikative und bewegungsfreudige Umwelt positiven Einfluss auf die geistige Entwicklung ausübt. An dieser Stelle bekommt die Debatte eine ausgeprägt politische Dimension. Denn eine stimulierende Erfahrungs- und Lebenswelt, in der mit den Kindern gespielt, gesprochen und gesungen wird, in der sie Raum für Bewegung und Experimente haben, in der sie Aufmerksamkeit und Sensibilität für ihre Interessen finden, in der vorgelesen und liebevolle Zuwendung verteilt wird, eine solche anregende Lebenswelt existiert in der Regel in Mittelschichtsfamilien und sie schwindet in der Unterschicht, bei benachteiligten Eltern und zu den Rändern der Gesellschaft hin.
Bewegung, Sprachentwicklung und Rechenkünste
Auch die Sprachenentwicklung wird durch Bewegung beeinflusst. Der Zusammenhang von Motorik und Sprache ist ebenfalls neurophysiologisch bedingt. Die Bereiche im Gehirn, die für die Sprachproduktion zuständig sind, stehen in direkter Wechselwirkung mit den für Bewegung und Koordination zuständigen Sektionen. Sie sind Teil davon. Man muss deutlich machen, „wie wichtig die frühkindliche Förderung besonders bei der Wahrnehmung und der Motorik ist. Viele Kinder erleben einfach zu wenig und bewegen sich zu wenig, aber das sind die Grundlagen für einen erfolgreichen Spracherwerb…. Wenn ich Dreijährige sehe, die noch im Buggy spazieren gefahren werden, dann steht zu befürchten, dass diese Kinder Probleme mit ihrer sprachlichen Entwicklung bekommen werden - oder schon haben."
Bewegung schafft zudem Anlässe für Kommunikation. Aus Greifen wird Begreifen, aus der Tätigkeit der Sinne wird Sinn, weil die Wahrnehmung in Laute, später in sprachlichen Ausdruck mündet und Bedeutung erfasst werden will. Bewegung, der Zugang zur Welt, übt Sprache unter der Vorraussetzung, dass über die kindlichen Erlebnisse kommuniziert werden kann und entsprechende Bezugspersonen da sind, die den Prozess des Spracherwerbs anregen und fördern. Eltern oder andere erwachsene Bezugspersonen sind quasi die Lehrer des Lebens. Sie deuten auf Dinge und benennen sie. Sie kommentieren Handlungen und liefern sprachliche Interpretationen. Sie wiederholen Laute, Silben und Wörter und bieten unwillkürlich Propädeutik für den Spracherwerb. Kommunikative Bewegungsspiele liefern hierfür ein sinnliches Fundament. „Erfahren die Kinder Sprache durch Bewegung und damit als körperliches Empfinden, führt das zu einem wesentlich besseren Sprachverständnis. Die Förderung der Sprache muss deshalb unbedingt mit Sport- und Bewegungserziehung einhergehen.“
Vergleichbare Prozesse gelten für die Ausprägung eines mathematischen Grundverständnisses. Wer Balance und Bewegung seines Körpers im Koordinatensystem von Raum und Zeit einschätzen kann, dem fällt auch die Orientierung in abstrakten Zahlengrößen und Rechenvorgängen leichter. Oder anders ausgedrückt: Wer die Hinkefußspiele in den Zahlenfeldern eines Kreidekastens nicht absolviert und sich dabei hüpfend in Mengenkategorien innerhalb Zeit und Raum bewegt hat, dem werden einfache Rechenvorgänge schwer fallen. Zum Rechnen gehört eine körperliche Vorstellung von Zeit und Raum. Rechenschwäche ist oftmals mit Orientierungsproblemen in Raum und Zeit verbunden. Wer nicht zehn Schritte in Linie hüpfen kann, dem ist auch die Vorstellung einer Zahlenreihe nur unzulänglich möglich. Noch ein Zusammenhang ist nachgewiesen: Kinder, die nicht rückwärts balancieren können, haben Schwierigkeiten beim Subtrahieren. Ihnen fehlt die sinnliche Erfahrung eines Bewegungsablaufs, der in Schritten oder Sprüngen nach hinten gerichtet ist.
3. Bewegung als Voraussetzung für Gesundheit und Wohlbefinden
Im vorschulischen Alter vollziehen sich grundlegende Entwicklungsprozesse. Sie bilden die Basis für das spätere intellektuelle Leistungsvermögen, aber auch für die körperliche Konstitution, das Wohlbefinden und das Selbstwertgefühl.
Zur Ausbildung leistungsfähiger Organe benötigt der Organismus genügend Reize. Die Organsysteme des Körpers sind nicht allein von den Erbanlagen abhängig, sondern vor allem vom Umfang und der Qualität ihrer Belastung. Kinder müssen täglich Gelegenheit haben, sich zu verausgaben. In Bewegung und Spiel sind die erforderlichen Reize für die körperliche Entwicklung angelegt. Aus pädagogischer und medizinischer Sicht ist das Toben, Rennen, Springen, Balancieren, Klettern, das ´Sichverausgaben´ elementar wichtig für die körperliche und geistige Entwicklung von Kindern. In der körperlichen Bewegung sind zudem notwendige Unterstützungsleistungen für ein gesundes Aufwachsen wirksam. Insbesondere für die körperlichen und personalen Gesundheitsressourcen haben ausreichende und positive Bewegungserfahrungen eine große Bedeutung. Die Leistungsfähigkeit des Herz-Kreislauf-Systems, des Immunsystems und des Bewegungsapparats hängt sehr eng von entsprechenden Belastungen durch Bewegung ab.
Zu den personalen Ressourcen gehört insbesondere die Einstellung zu sich selbst. Ein positives Körper- und Selbstkonzept, das durch Bewegung unterstützt und gefördert wird, trägt wesentlich zum Wohlbefinden von Kindern bei. Das setzt allerdings Bewegungsangebote voraus, in denen Kinder tatsächlich positive Bewegungserfahrungen machen können und auch die weniger Talentierten eine Chance haben. Leistungssportliche Kategorien und die damit oftmals verbundene Angst vor Misserfolg und nachfolgendem Vermeidungsverhalten haben in einem solchen Konzept nichts zu suchen. Unter den genannten Voraussetzungen stehen körperliche Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden wiederum nachweislich in einer engen Wechselwirkung mit dem intellektuellen Leistungsvermögen. Wenn diese Ressourcen vorhanden sind, können auch andere externe und interne Belastungsfaktoren besser bewältigt werden.